Traut man
dem gemeinen 60er-jahre-publikum so wenig Englisch zu, untertitelung wäre
ja auch möglich gewesen, oder ist resignieren, zurücktreten von einem brisanten staatlichen oder geheimdienstlichen job in der heißen
sozialen, politischen und kulturellen phase der 60er jahre einfach nicht
opportun?
Wie er einerseits dem Ort eine bezeichnung verweigert,
gebraucht Joachim Brinkmann, dialogregisseur der ZDF-fassung, andererseits
zugleich unterschiedliche ausdrücke für das im vorspann abwesende "resigned": ausgeschieden, zurückgezogen, abschied genommen, gegangen, auch zurückgetreten und sogar hingeschmissen.
Neben diesem
auftakt unterschlägt die deutsche fassung auch ein detail in der
schlusssequenz der letzten episode, das nicht ganz ohne bedeutung ist.
Drei der vier verbliebenen hauptdarsteller, Leo McKern, Alexis Kanner,
Angelo Muscat, werden hier mit namen genannt, nur McGoohan nicht. Ursprünglich,
im englischen original, steht für ihn allein das wort "Prisoner",
ohne artikel: "Gefangener".
Ein sprachliches problem?
Das fehlen
ganzer folgen bewirkt eine abschwächung der gar nicht unterschwelligen
politischen implikationen der serie. Rückblickend drängt der
eindruck sich auf, dass die deutsche auswahl die politische grundströmung
der zeit - den Kalten Krieg - zu meiden trachtet wie der vampir den knoblauch
und also stark das abenteuerlich-fantastische element betont, wenn "Free
For All" mit deutlich politischem inhalt und "Living In Harmony"
als politische parabel völlig unter den tisch fallen.
In der episode
"Die Glocken von Big Ben" wird um die geografische lage des Ortes gemutmaßt. Die deutsche version verlegt dabei Nummer
Sechs' und Nadjas fluchtweg vom - damals politisch-militärisch zum
einflussbereich des Warschauer Paktes gehörenden - Baltikum auf den
"wilden" Balkan und nach Bulgarien. Den verantwortlichen schien
ein ort wohl unverfänglicher zu sein, der schon seit Karl Mays geschichten
aus dem 19. jahrhundert abenteuertechnisch ganz anders vorbelastet war
als das ehemals deutsche territorium um Ostpreußen und noch weiter
dahinter.
"Sinneswandel",
eine teilweise eher garstig-düstere episode, behandelt das
damals virulente thema verhaltenspsychologie und lobotomie. "Harmony"
stand quer zum amerikanischen western-mythos wie auch der tagespolitik des
Vietnam-krieges (was die frage von zensur betrifft, bitte die episodenwürdigung lesen). Besonderer
stellenwert kommt "Freie Wahl" zu, als McGoohan sie eine
von sieben episoden nannte, die "wirklich zählen."
Mehr dazu in der episodenbeschreibung.
2010 brachte der deutsch-französische fernsehkanal Arte
NUMMER 6 im rahmen eines sommerspecials nach 18 jahren wieder zurück ins deutsche fernsehen. Dabei besorgte der sender die erstmalige synchronisation der vier episoden, sodass die serie jetzt komplett auf deutsch vorliegt. Für die deutsche stimme von Nummer Sechs, ehemals Horst Naumann, wurde Bernd Rumpf engagiert. Die neuen deutschen episodentitel:
- Free For All - Freie Wahl
- The Schizoid Man - Der Doppelgänger
- A Change Of Mind - Sinneswandel
- Living In Harmony - Harmony
In
den frühen 90er jahren entdeckte Bruce Clark, der amerikanische koordinator
der Prisoner Appreciation Society SIX OF ONE, eine bis dahin unbekannte
version der episode "Die Glocken von Big Ben" auf zelluloid.
Und anfang 2000 kam zufällig eine deutlich verschiedene erste folge
"Die Ankunft" ans tageslicht. Beide alternativversionen sind selbstredend (bis zur veröffentlichung der deutschen DVD) nie
auf deutsch zu sehen gewesen.
BRUCE CLARK, GEST. 2019 - PRISONER CONVENTION 1986
Die ausführung
der episoden ist recht ungleichmäßig, je nach drehbuch und
regisseur verschieden. Die reihenfolge,
schon in der GB- und US-version unterschiedlich und auf deutsch noch wirrer,
ist ohne klare linie, was wiederrum auf das konto des produktionsablaufes
geht. So waren zum zeitpunkt der erstsendung in Großbritannien einige episoden noch gar nicht
fertig gestellt. Zuschauer in England sahen eine andere reihenfolge als
etwa in Kanada. Scharen von SIX-OF-ONE-mitgliedern haben sich schon an
der frage abgearbeitet, wie die wahre reihenfolge aussehen hätte
können oder müssen. Eine nähere betrachtung fördert
widersprüchliche dialoge zu tage, da mehrere autoren scripte verfassten
für das, was sie für die zweite episode hielten. Indizien gibt
es dafür, dass diese oder jene folge vor einer anderen zu platzieren
wäre - müßiges unterfangen.
Alles in allem bilden die teile "Die Ankunft" und "Pas
de deux"/"Demaskierung" die klammer, die alles zusammenhält.
Ein pfiffiges
produktionsdesign bedient sich dabei aus einem unergründlichen fundus
und macht so die ästhetik des versponnenen puzzles NUMMER 6 aus. Meistens von symbolischer oder zeichenhafter bedeutung. Und selbst,
wenn nichts tiefgründiges daran ist: das baldachin-gekrönte
hochrad - the Pennyfarthing - (McGoohan: "ironisches symbol des
fortschritts"), bleibt es doch hängen.
Alles rundet
sich zu einem raffinierten amalgam verschiedener essentials, die für
die 60er jahre kennzeichnend sind:
politische
theorie und gesellschaftskritik
nonkonformismus und anpassung
surrealismus
pop / medien
science fiction.
Das alles
gestützt von dialogen, die sich lieber in anspielungen ergehen als
auszufabulieren, was in ihnen steckt. Wie Voltaire festgestellt hat, besteht
das geheimnis der langeweile bekanntlich darin, alles zu sagen.
Leicht übersehen
wird, dass die deutsche version von THE PRISONER keine eins-zu-eins
übersetzung ist, gar nicht sein kann.
Joachim Brinkmann,
der dialogregisseur der deutschen fassung, hat in NUMMER 6, im gegensatz
zum original, schon im eröffnungsprolog ein tor in die mehrdeutigkeit
aufgestoßen und hält diesen tenor in kleinigkeiten durch.
So erhält
Nummer Sechs auf seine frage "Where am I?" auf deutsch
die viel (nichts-)sagende(-ere) antwort: "Sie sind da." Paradoxer und zugleich reduzierter geht es kaum. Wohingegen er in der
englischen fassung ganz wörtlich die wahrheit erfährt: "Im
Dorf" - "In the Village." Vom rhythmus und sprechgefühl
her ist diese wörterbuchlösung unmöglich und inhaltlich
zudem fragwürdig. Nichtsdestotrotz wurde es für die untertitel der deutschen
DVD so gemacht.
Die relevanz
des drehschauplatzes - das walisische Portmeirion - war für britische
zuschauer naturgemäß eine ganz andere als für deutsche.
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